Autismus & das Double Empathy Problem: Darum werden wir missverstanden
Bist du autistisch oder AuDHS? Hast du immer wieder das Gefühl, nicht richtig gehört oder verstanden zu werden? Wurde dir schon gesagt, du seist zu direkt, stellst zu viele Fragen oder wirkst nicht einfühlsam? Damit bist du nicht allein. Es gibt dafür sogar einen Namen: das Double Empathy Problem oder das “Doppelte Empathie-Problem”. Und nein, wir sind nicht das Problem!
Dieses Konzept beschreibt, warum so viele von uns im Alltag – und besonders im Beruf – an Kommunikationshürden scheitern, obwohl wir uns eigentlich nur klar ausdrücken oder andere unterstützen wollen. Für mich war es ein Schlüsselmoment, als ich davon erfuhr. Es hat mir nämlich Mal das Gefühl genommen, fundamental falsch zu sein.
Das Konzept des “Doppelten-Empathie-Problems”
Der Begriff wurde von Dr. Damian Milton im 2012 geprägt. Er beschreibt damit das Phänomen, dass es auf beiden Seiten – bei autistischen und bei nicht-autistischen Menschen – Schwierigkeiten gibt, einander korrekt zu deuten. Es gibt ausserdem einen Mismatch im Bereich der Empathie, einander nachvollziehen fällt beiden Parteien schwer. Das führt zu Missverständnissen, die nichts mit Schuld, sondern mit unterschiedlichen Kommunikationsstilen zu tun haben. Spannenderweise passiert diese nicht, wenn zwei Nicht-Autistische Menschen (auch “allistisch” genannt) oder zwei autistische Menschen miteiander kommunizieren.
Das Problem: In der Realität liegt die Anpassungsarbeit fast immer auf unserer Seite. Von Autist:innen und AuDHS-Brains wird (oft unbewusst) erwartet, dass sie die neuronormative Kommunikation lernen und anwenden – eine Sprache, die wir nie intuitiv beherrschen werden. Und das kostet uns enorme Kraft.
Warum das im Alltag so belastend ist
Im Berufsleben kann das zu Konflikten, Ausschluss aus Teams oder sogar zu Benachteiligungen im Bewerbungsprozess führen. Besonders heftig wird es, wenn das Double Empathy Problem mit sogenannten Thin Slice Judgements zusammentrifft.
Das bedeutet: Viele nicht-autistische Menschen bilden sich unbewusst in Sekunden ein Urteil über uns – nur anhand kurzer Ausschnitte von Verhalten oder Sprache. Studien zeigen, dass diese Urteile meist negativer ausfallen, wenn Mimik, Stimme oder Körpersprache sichtbar sind. Liest man hingegen nur den Text, verschwindet der Effekt.
Mit anderen Worten: Wir werden nicht für den Inhalt dessen beurteilt, was wir sagen, sondern für die Art, wie wir uns verbal und nonverbal ausdrücken.
Wie ich das erlebt habe
Ich habe das oft schmerzhaft im Arbeitsumfeld, aber auch sonst im Leben gespürt. Hier einige Beispiele:
Wenn ich mich für eine Sache einsetzte, wurde ich schnell als aggressiv oder dominant abgestempelt – obwohl ich nur zum Ziel hatte, etwas zu verbessern.
Wenn ich jemandem eine eigene ähnliche Geschichten aus meinem Leben erzählte, um meine Empathie zu zeigen, wurde mir Egoismus oder Arroganz unterstellt. Weil es so aussah, als würde ich das Gespräch an mich reissen.
Wenn ich viele Fragen stellte, um Aufträge wirklich zu verstehen, kam das als misstrauisch oder eimischend ran. Dabei ist es mir nur wichtig, dass ich wirklich alles verstehe und vielleicht sogar unterstützen kann.
Natürlich habe ich gelernt, meinen Stil anzupassen: vorsichtiger zu formulieren, in „Wir“- statt in „Ich“-Botschaften zu sprechen, nicht gleich mit meiner Meinung herauszuplatzen. Aber es ist nicht meine intuitive Sprache – und Masking, also das Überspielen meiner natürlichen Impulse und meines Kommunikationsstils, kostet mich jedes Mal enorm viel Energie.
Noch schmerzhafter war es, wenn andere diese Unterschiede bewusst gegen mich ausnutzten: etwa, indem sie mir in Meetings Fragen stellten, von denen sie wussten, dass ich sie unter Stress nicht beantworten konnte. Solche Momente haben sicher auch dazu beigetragen, dass ich bei Beförderungen oft übergangen wurde, obwohl meine Leistung hoch gelobt wurde.
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Was wir daraus lernen können
Das Wichtigste: Mit dir ist nichts falsch. Diese Missverständnisse entstehen nicht, weil du unfähig bist, sondern weil unterschiedliche Kommunikationsstile aufeinandertreffen. Du musst nicht die ganze Verantwortung tragen, dass Kommunikation gelingt – auch wenn die Gesellschaft das oft so vermittelt.
Das Double Empathy Problem zu kennen hilft, die Mechanismen dahinter zu verstehen und die Schuldgefühle loszulassen. Gleichzeitig können wir unser Gegenüber aufklären, unseren Kommunikationsstil erklären und dadurch Missverständnisse reduzieren.
Aber: Die Lösung darf nicht allein bei uns liegen. Strukturen und Menschen in Machtpositionen müssen sich öffnen und akzeptieren, dass es mehr als einen „richtigen“ Kommunikationsstil gibt. Auch unter neuronormativen Menschen gibt es unzählige Unterschiede – warum also nicht einander bewusst zuhören und voneinander lernen?
Fazit zum Double Empathy Problem
Das Double Empathy Problem zeigt, wie sehr Missverständnisse unsere sozialen und beruflichen Chancen prägen – und wie wenig es mit persönlichem Versagen zu tun hat. Es geht um verschiedene Sprachen, nicht um „richtig“ oder „falsch“.
Was wir brauchen, ist gegenseitige Bereitschaft: ein Stück mehr Bewusstsein, ein Stück mehr Übersetzungsarbeit auf beiden Seiten – und weniger einseitige Anpassung. Dann können wir alle von einem vielfältigeren, menschlicheren Miteinander profitieren.
Hey, nebst Content-Creator bin ich Karriere-Coach für bunte Brains und begleite Menschen zu mehr Erfüllung in Job & Selbständigkeit. Interessiert? dann kontaktiere mich gerne jederzeit oder buche ein kostenloses Gespräch mit mir, in welchem wir schauen, wo du jetzt stehst und wo es hingehen soll. Ich freue mich!